„Hilfe, meine Freundin ist Veganerin!“ – ein Gastbeitrag aus seiner Sicht

„Hilfe, meine Freundin ist Veganerin!“ – ein Gastbeitrag aus seiner Sicht

«Wir können nie mehr zusammen Ben & Jerrys essen!», war meine Reaktion, als mir Anina die Hiobsbotschaft übermittelt hat. Gefolgt von einer nicht endend wollenden Diskussion und Tränen. Rückblickend hätte ich gerne anders reagiert, doch das kulinarische Outing hat mich überfordert. Gerne erzähle ich dir die Geschichte, wie ich damals auf Aninas Entscheid, ab sofort vegan zu leben, reagiert habe. Am Schluss habe ich noch einige Tipps für dich, wie du dein Umfeld mit deiner Entscheidung informieren kannst, ohne dabei in einen Konflikt zu geraten. Doch nun von Anfang an…

 

Berlin, Oktober 2016. Wir verbrachten einen wunderbaren Abend in einem tollen vietnamesischen Restaurant. Satt aber glücklich begaben wir uns auf den Weg in Aninas Apartment, welches sie sich für die Zeit ihres Austauschsemesters in der Deutschen Hauptstadt gemietet hatte. Wir hatten uns so viel zu erzählen, schliesslich hatte ich meine Liebste eine Weile nicht mehr gesehen. Liebestrunken und einander wärmend warteten wir an der U-Bahn Station auf die Bahn in Richtung Zweisamkeit. Und dann das: «Ich bin jetzt Veganerin»gab mir meine Liebste zwischen den Zeilen bekannt. Ungläubig und in der leisen Hoffnung mich verhört zu haben, hakte ich nach. Aber nein, meine Hübsche wiederholte die Worte in gleicher Reihenfolge.

Und ich? Zu dieser Zeit noch fleissig fleischessend und überhaupt nicht bereit für die aufkommende Lebenseinstellung, welche für mich ein Reizwort darstellte. «Ich bin jetzt Veganerin», hallte es wieder nach. Meine erste Reaktion kennst du bereits: «Wir können nie mehr zusammen Ben & Jerrys essen!», das war meine erste Reaktion. Und ich meinte dies nicht als Spass.

 

Bittere stille Tränen

Ich habe nicht nach den Beweggründen für ihre gefragt. Ich habe nicht gefragt, ob Sie mir denn genau erklären kann, was das bedeutet. Ich dachte leider keine Sekunde daran, wie Sie sich genau in diesem Moment fühlen muss. Nein, ich begab mich ab der ersten Sekunde auf Konfrontationskurs. Die allgemein gängigen Argumente, welche auf vegan lebende Personen prasseln, kennt ihr ja bestens. Auch ich entlud meine verbale Argumentationskanone mit bestenfalls Halbwahrheiten, und nahm die Neoveganerin ins Visier. Wie das mit hitzigen Diskussionen so ist, resultierten keine konstruktiven Lösungsansätze, sondern bittere und stille Tränen.

Mit der kühlen Berliner Winterluft beruhigte ich mich glücklicherweise noch auf dem Nachhauseweg und besann mich das erste Mal dazu, Anina mal richtig zuzuhören! Und ja, ihre Argumente waren schon einleuchtend, aaaber…

Das «ABER» konnte während dem Kurzaufenthalt in Berlin noch nicht beseitigt werden. Für mich waren Veganer zu diesem Zeitpunkt alles Pseudo-Weltverbesserer, Ernährungspolizisten und kurzweilige Trendsetter. Auch Anina wird sich nach der Rückkehr aus der Hipster-Hauptstad Berlin wieder ändern und gemeinsam mit mir ein Ben & Jerrys essen. Dachte ich.

 

Der Sinneswandel: Selbst Veganer?

Und ja, wir essen wieder Ben & Jerrys! Es gibt inzwischen leckere vegane Varianten. Wir haben jetzt 2019 und Anina ernährt sich noch immer vegan. Und ich? Ich esse kein Fleisch mehr. Auch mein tägliches Müsli mach ich mir nun mit Soja-Joghurt und meine früher heissgeliebte Schokoladenmilch ist jetzt auf Reismilchbasis. Ich verstehe nun Anina und ihre Ernährungs-Einstellung. Und ich bin selber nicht mehr weit entfernt von der veganen Lebensweise. Dieser Wandel hat aber viel Zeit gebraucht. Lange Gespräche, eindrückliche Dokumentarfilme und wissenschaftlich fundierte Studienergebnisse bezüglich veganer Ernährung und deren Impact auf die Gesundheit, Gesellschaft und Umwelt haben mich bewegt.

Alle diese Fakten führen zur einzig rational begründbaren Reaktion – des Überdenkens des eigenen Konsumverhaltens. Auch wenn der Weg bis hierhin nicht immer einfach war, und mir die Veganisierungs-Bestrebungen gewisser Einzelpersonen und Organisationen zu radikal und einseitig sind, sprechen die Fakten im Endeffekt eine eindeutige Sprache. Und machen die damalige Entscheidung von Anina für mich mehr als nachvollziehbar. Sie inspirierte mich. 

 

Mach es besser als ich!

Was kann ich dir also mit auf den Weg geben, damit dein Umfeld auf deine Entscheidung nicht so tollpatschig reagiert wie ich?

 

1.) Konfrontiere deine Liebsten nicht von 0 auf 100 mit einem einzigen Satz. Vegan ist auch heute noch ein Reizwort und kann bei vielen Leuten, welche sich noch nicht damit beschäftigt haben, eine Blockade und Abwehrhaltung erzeugen. Sprich das erste Mal in einer entspannten Atmosphäre über deine Entscheidung.

2.) Lass dich auf eine Diskussion ein und argumentiere «customized» auf dein Gegenüber. Interessiert sich die Person für Umweltthemen? Erwähne doch die Vorteile der veganen Ernährung für die Umwelt. Oder ist dein Vis-à-vis sehr gesundheitsbewusst und sportlich? Nenne positive Beispiele der ausgewogenen veganen Ernährung auf die Leistungsfähigkeit. «Hast du gewusst, dass Lewis Hamilton sich vegan ernährt?» Lege dir ein paar Argumente zurecht, welche deinen Kontrahenten wirklich interessieren.

3.) Stelle von Anfang an klar, dass es deine persönliche Entscheidung ist und du nicht von deinem Gegenüber verlangst, dass er / sie sich ebenfalls so ernährt. Leben und leben lassen ist hier die Devise. Die Ernährung sollte nicht zu einer Religion werden und ist kein Gegeneinander. Jeder muss selbst entscheiden, wie sein Ernährungsplan ausschaut.

4.) Aber klar, du bist von deiner Ernährungsform überzeugt und möchtest auch bewirken, dass andere von den positiven Effekten profitieren. Du kannst was bewegen, aber bitte nicht mit der Brechstange. Sorg’ dafür, dass sich dein Umfeld von selbst über die Problematik der tierischen Nahrungsmittelproduktion informiert. Schaue mit ihnen Dokumentarfilme – ohne diese aber zu kommentieren. Jeder sollte sich selbst ein Bild machen können ohne sich beeinflusst zu fühlen. Dies braucht Zeit. Und ein Ziel ist ja bereits erreicht, wenn die Personen ihr Konsumverhalten für sich reflektieren.

5.) Bezirze deine Liebsten mit deinen veganen Kochkünsten! Dies hat bei mir wohl am meisten bewirkt. JIch durfte so viele neue Gerichte und Geschmäcker kennenlernen, welche ich in den vergangenen Jahrzehnten verpasst habe. Die Küche ist vielfältiger geworden und ich vermisse weder Fisch, Fleisch, Milch oder Ei bei den wohlschmeckenden und farbenprächtigen Menus, welche ich aufgetischt bekomme.

 

Getting there…

Wie bereits geschrieben ernähre ich mich aber noch nicht komplett vegan. Bei Käse beispielsweise werde ich schwach – aber der Konsum hat sich drastisch reduziert. Und auch bei Restaurantbesuchen fällt meine Wahl auf das vegetarische Gericht, da vielfach noch keine vegane Alternative zu finden ist. Oh, und Schokolade. Aber hey, ich befinde mich auf dem Weg. Und zwar aus eigener Überzeugung. Und so kommt es, dass ich heute Abend genüsslich mit Anina und einem grossen Becher Ben & Jerrys auf der Couch sitze. Cocountterly Caramel’d. Vegan. Echt lecker!

Euer Chris



4 thoughts on “„Hilfe, meine Freundin ist Veganerin!“ – ein Gastbeitrag aus seiner Sicht”

  • Wow, ein echt toller blogpost!
    Ich ernähre mich bereits vegan, aber man begegnet ja immer wieder Menschen und deine Tipps sind sehr hilfreich! Dankeschön!

  • toller Beitrag! und danke für deine Tipps. Ich finde es manchmal auch schwierig andere zu informieren, dass ich vegan lebe, da oft einfach doofe Sprüche fallen. Aber darüber muss man stehen😄🙏

  • Ein interessanter Beitrag, ohne Zweifel. Ich folge Anina schon länger und finde einige Dinge, die sie und ihr beiden als Paar macht, echt toll. Zu diesem Blog würde mich interessieren welche „eindrücklichen Dokumentarfilme und wissenschaftlich fundierten Studienergebnisse“ ihr empfehlen könnt.
    Allgemein würde ich mir wünschen, dass neben den Einzeleinblicken auch ein Konzept präsentiert wird (von euch oder von Leute aus der Community). D. h. wie sieht eine Welt aus, die auf nachhaltigen Säulen aufbaut (wirtschaftlich, sozial und ökologisch). Ist es überhaupt möglich, eine Welt mit nur „einem Fussabdruck“ pro Mensch zu haben? Hier würde ich mich sehr über eure Ansichten freuen.

  • Ich finde Deinen Blogpost toll! Er hat mich gleich angesprochen, da es bei meinem Mann und mir etwa die gleiche Situation ist. Er (bis vor 3 Monaten) überzeugter Fleischesser und ich seit bald 3 Jahren Veganerin.Danke!🙏

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